Portrait des Nihilisten in einem Einkaufszentrum

Portrait des Nihilisten in einem Einkaufszentrum

Was bedeutet es, ein Nihilist zu sein? Der Glaube an Nichts ist auch ein Glaube. Nichtigkeit wird nicht als Wert, sondern als Methode verstanden, und zur Prüfung alles Wissens genutzt. Denn da wir keine Fatalisten sind – solche, die glauben, dass nichts sicher oder von Bedeutung ist, und nichts an diesem Zustand geändert werden kann – haben wir das Verlangen, am Leben zu bleiben. Lebt man, ist Wissen so wichtig wie für die frühen Höhlenmenschen das Erlernen des Feuermachens. In dieser Form reduziert sich Nihilismus vom Glauben an Nichts zu einem Glauben an das von der Berücksichtigung der Nichtigkeit abgeleitete Wissen.

Nichtigkeit ist ewig; ist man z.B. tot, so ist es nichts mit der die Nichtigkeit reflektierenden Existenz. Man ist einfach nicht da. Die Nichtigkeit erinnert uns daran, dass alles was wir vom Leben wissen verschwindet, und genauer betrachtet, dass die Nichtigkeit triumphieren wird, weshalb unser Leben eine Wichtigkeit haben sollte, die wir generell als „Sinn des Lebens“ definieren. Was ist nun der „Sinn des Lebens?“ Es ist die Befriedigung, dass man seine Zeit genutzt hat, da diese endlich ist und die Nichtigkeit darauf folgt. Essentiell wird hier Nihilismus auf sich selbst angewandt, und in diesem Moment lässt Nihilismus die Schlechtmacherei zu Gunsten einer neuen Kraft hinter sich.

Wenn wir uns der Nichtigkeit bewusst sind, können wir nicht länger an Absolute glauben. Ein einziger Gott, der macht, was wir für richtig halten; das „Gute“ und „Böse“; der Himmel sowie eine utopische Gesellschaft – dies alles sind reine Ideale, die nicht in der Natur existieren, da sie weder zugeben, dass die Nichtigkeit existiert, noch ihre Notwendigkeit erkennen. Moralisch gesehen ist ein verlorenes Leben eine schreckliche Sache. Wenn es aber nun ein gut gelebtes Leben war, das nun aus Alzheimer, Inkontinenz und dem Hoffen auf einen Canasta-Highscore besteht? Was, wenn dieses Leben ein Mörder oder ein zur Qual verdammter Kranker ist? Nichtigkeit kann ein Retter sein. Wenn wir die Nichtigkeit vergessen, rutschen wir in bedeutungsschwangere Absolute ab, die uns das Leben erleichtern sollen. Ist dies nicht die Annahme, dass das Leben an sich schlecht ist?

Ein Nihilist ist jemand, der Nichtigkeit als Notwendigkeit für die Existenz des Ganzen akzeptiert; über „gut“ und „schlecht“ steht „meta-gut,“ das sowohl das Gute wie das Schlechte beeinhaltet. Dies führt weiter als der Glaube an die Nichtigkeit; es ist ein Glaube an die Notwendigkeit der Nichtigkeit; sowohl in den Vorgängen der Natur wie auch in unserer Fähigkeit, die Natur zu verstehen. Ein Fatalist bzw. jemand der glaubt, dass nichts gewusst oder getan werden kann, steht im Gegensatz zu einem Nihilisten nicht über „gut“ und „böse“. Denn dieser hat akzeptiert, dass Absolute nicht existieren, und ist daher mit der Aufgabe versehen, Sinn und Ordnung im Universum zu finden, wie es generell jeder -ausgenommen Fatalisten- als Teil des Lebensprozesses versteht.

Sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft suggerieren viele Möglichkeiten, dem Leben einen Sinn zu geben; wenige von ihnen jedoch bestehen den oben beschriebenen Nichtigkeitentest. Anstatt die Nichtigkeit zu akzeptieren, versucht dieser Glauben etwas absolutes höher zu positionieren, und so unterwerfen sie sich der Nichtigkeit ohne es zu merken und machen so aus ihren Anhängern klägliche, der Schlachtung ausgesetzte Schafe: Sie leugnen die Nichtigkeit, weil sie diese Fürchten und können deshalb keinen Sinn über die Leugnung hinaus finden. Sie sind dem Tod hörig geworden. Man kann sie in der Kirche beobachten, oder aktiv in sozialen Funktionen moralisch-absoluter Natur.

Glaubt also nun ein Nihilist an irgendetwas? Ja: An Nichtigkeit, und an das System, von dem Nichtigkeit ein Teil ist und das wir Meta-Etwas nennen können, bestehend aus Nichtigkeit und etwas nicht nichtigem. Ein Nihilist glaubt daran und bejaht somit eine Realität außerhalb der von sozialen Belastungen, Wirschaftslehre, Religion und Fernsehen geschaffenen. Nihilismus ist ein Tor zur Wiedergeburt; der Weg ist das Akzeptieren des Todes und die darauf folgende Wertefindung, ohne sich dabei irgendeiner Krücke zur Umgehung der Unabwendbarkeit unseres Todes zu bedienen.

Ein Nihilist im Einkaufszentrum sieht hell beleuchtete Schilder, Produkte zum Verkauf, Kirchen, die Leuten Bücher aufdrängen, über Liebe philosophierende Hare-Krishna-Anhänger, und einen Strom von Leuten, die eiligst ihrem Bedürfnis zu konsumieren und aktiv zu sein nachkommen. Ein Nihilist braucht nichts davon in seiner Seele, und deshalb nähert er sich dem Springbrunnen, an dem einige Pflanzen wachsen, deren Blätter vom ständigen Kontakt mit vorübereilender Passanten welk geworden sind. Im Gegensatz zum Buddhisten ist es nicht das Ziel des Nihilisten, die Welt zu steuern und sein Ego aufzugeben, um eine Identität zu finden. Im Gegensatz zum Christen lebt er nicht für eine andere, bessere Welt. Er beruhigt seine Seele und akzeptiert das Leben für das, was es ist; er beschließt, es gut zu leben, wie auch eine in Pflanze immer zum Licht wächst, auch wenn sie sich in einem Einkaufstzentrum voller Chaos befindet.

So wie auch die Pflanze keine Wahl hatte, wo ihre Samen landeten und eine Umgebung fanden, in der sie sprießen konnten, befindet sich der Nihilist in einer Welt die unverständlich in ihrem Begehren ist, den Magen des Todes mit jeder Tätigkeit, die sie sich ausdenken kann vollzustopfen. Er muss eine einfache Entscheidung treffen: dem Verstand zu folgen oder der Herde zu folgen, und er entscheidet sich für den Verstand. Trotzdem gibt er die Natur nicht auf, die auch seine Natur ist, während er nach einem besseren Verständnis der Realität strebt, größerer Kunst und besserem Lernen und Taten erstrebt, die von ihrer Natur aus bedeutungsvoll sind, auch wenn sie Opfer erfordern; in einem vergangenen Zeit, die vielleicht gesünder war, wurde dies Heldentum genannt.

Der Nihilist im Einkaufszentrum betrachtet also die Blumen und wartet auf eine junge Frau, die gerade in einem nahen Geschäft einkauft, während er daran denkt, wie in einem Wald dunkle Stellen an fruchtbare Lichtungen grenzen, Krallen auf die unachtsamsten Mäuse herabgehen, und sich eine Ordnung über die Zeit hinaus endlos in etwas wiederholt, dann in Nichtigkeit, so dass dieses Etwas immer existieren kann und immer einen erfüllenden Ablauf hat. Während um ihn herum schreiende Leute hetzen, in einer Ekstase des Einkaufs, des Wollens und Brauchens und der Furcht, den Tod mit Plastikobjekten zurückdrängend, belächtelt er diese Bestrebungen und berührt das Blatt einer kleinen Pflanze, während er über Unendlichtkeit nachdenkt. Dies waren die Gedanken eines Nihilisten im Einkaufstzentrum an diesem Abend.

Vijay Prozak, 01/16/05

Our gratitude to “Aor” for this translation.

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